Forschungsprojekt Wärmewende im Quartier: Mit Abwasserwärme und Solaranlagen klimaneutral heizen

Berlin Lichtenberg, Heimatquartier Karlshorst: Noch unbemerkt vollzieht sich hier eine kleine Klima-Revolution. Sie spielt sich ab in und unter fünf cremefarbenen Häuserriegeln aus dem Jahr 1956. Ihre 153 Wohnungen sind der erste Altbestand der HOWOGE, der ab 2024 vollständig mit erneuerbaren Energien beheizt werden kann. Wärmeenergie aus einer nahegelegenen Abwasserdruckleitung wird die bisherigen Gas-Brennwertkessel ersetzen. Das alternative Konzept kommt aus dem Forschungsprojekt „KoWa – Wärmewende in der kommunalen Energieversorgung“, an dem die HOWOGE als Praxispartnerin beteiligt war.

Das Besondere daran: Ein die Mieter:innenschaft belastender Umbau ihrer Wohnungen entfällt. Matthias Schmitz-Peiffer, Geschäftsführer der HOWOGE Wärme GmbH: „Bislang geht die Wohnungswirtschaft davon aus, dass Altbestände mit einem hohen energetischen Standard versehen werden müssen, um fossile Energieträger in der Wärmeversorgung aufgeben zu können. Doch das geht auch anders.“

Wenn wir jetzt die Heizung anfassen, wollen wir das natürlich gleich so machen, dass wir die vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele erreichen.

Matthias Schmitz-Peiffer | Geschäftsführer der HOWOGE Wärme GmbH

Voll saniert – doch nun muss eine neue Heizung her

Das Projekt löst damit ein Dilemma, das es in vielen Beständen der HOWOGE gibt. Die Gebäude im Heimatquartier Karlshorst, für KoWa Q1 genannt, wurden vor über 20 Jahren modernisiert; mit Wärmeverbunddämmung, neuen Fenstern und Gas-Brennwertkesseln für die Heizung. Nun sind diese Gaskessel zu erneuern. Der Rest jedoch kann hoffentlich noch lange genutzt werden. 

Matthias Schmitz-Peiffer: „Wenn wir jetzt die Heizung anfassen, wollen wir das natürlich gleich so machen, dass wir die vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele erreichen.“ Doch Sonne, Abwasser oder industrielle Abwärme weisen eine geringere Energieintensität als Gas oder Heizöl auf. Möglichst wenig dieser Wärme darf über die Gebäudehülle entweichen. Eine neue Fußbodenheizung mit einer niedrigere Vorlauftemperatur würde zudem bessere Bedingungen für Wärmepumpen schaffen. „Eine erneute Vollsanierung der Gebäude ist im Moment aber weder betriebswirtschaftlich darstellbar noch den Mieterinnen und Mietern zuzumuten.“ Und nun?

Prof. Katharina Gapp-Schmeling vom Institut für ZukunftsEnergie und Stoffstromsysteme (IZES) sagt: Genau solche Schwierigkeiten schrecken viele Vermieter:innen ab. „Es gibt zwar für vieles schon die nötigen Technologien, aber für die konkrete Umsetzung braucht es Netzwerke, die es meistens vor Ort noch nicht gibt.“ Bei KoWa ist Katharina Gapp-Schmeling zusammen mit Anna Masako Welz von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) für die Unterstützung der Praxispartner:innen beim Aufbau solcher Kooperationen zuständig.

Eine Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben bringt die Lösung

Am Heimatquartier wird am Ende die enge Zusammenarbeit zwischen der HOWOGE und den Berliner Wasserbetrieben entscheidend sein. Doch zunächst prüft und verwirft KoWa eine ganze Reihe von Optionen. Ließe sich eventuell Fließwärme aus der Spree entnehmen? Sie verläuft anderthalb Kilometer vom Quartier entfernt. Zu weit weg, ergeben die Berechnungen. Auch Solarthermie scheidet aus. Für eine zuverlässige ganzjährige Versorgung müssten große Speicher in den Innenhof gebaut werden, wo heute ein großer Spielplatz und Grünflächen sind. „Dafür gibt es an solchen Standorten bei den Mieter:innen kaum Akzeptanz“, sagt Katharina Gapp-Schmeling. 

Schließlich bleibt die Abwasserdruckleitung, die unter der Marksburgstraße verläuft. Was hier fließt, hat selbst bei Dauerfrost noch eine Temperatur von mindestens 12 Grad. Wärmetauscher in der Kanalisation entnehmen davon vergleichsweise geringe Mengen. Sie entsprechen etwa einem bis drei Grad Celsius. Mit Strom betriebene Wärmepumpen heben diese Wärmeenergie in den Häusern auf eine normale Warmwasser- und Heiztemperatur. Die Berliner Wasserbetriebe haben in einem weiteren Forschungsprojekt den Abwasserwärmeatlas (siehe Abbildung) erstellt und kennen ihre Potentiale. Eine Analyse ergibt: Die HOWOGE kann am Quartier Q1 theoretisch so viel Wärmeenergie aus dem Abwasser entnehmen, dass der Bedarf in den Häusern auch bei gegebenem Sanierungsstand vollständig zu decken ist. 

Voraussichtlich ab 2024 ist das Heizen im Heimatkiez CO2-frei


KoWa schlägt daher eine Kombination von Abwasserwärme und Solaranlagen auf den Dächern vor. Über Photovoltaik soll ein Teil des Stroms für die Wärmepumpen kommen. Den Rest liefert die HOWOGE Wärme GmbH als Grünstrom an die Mieter. Zwei Ingenieursbüros fügen diesem Vorschlag rechnerisch weitere Variablen hinzu. Den Berechnungen zufolge bewegen sich die Warmmieten im Kiez auch nach der Umstellung auf die Abwasserwärmeerzeugung ähnlich wie in anderen Quartieren. Am Ende ist klar: Auch technologisch geht die Rechnung auf. 

Q1 ist damit der erste Altbestand, mit dem die HOWOGE alle Klimaziele sicher erreichen wird. Ein Kilowatt Strom wird bald drei bis vier Kilowatt Wärme erzeugen, praktisch CO2-frei. Nach der regulär anstehenden Vollsanierung sinken dann auch Verbrauch und Gesamtemission unter die Werte, die das Berliner Energie- und Klimaschutzprogrammes (BEK 2030) als „klimaneutrales Wohnen“ gelten lässt. „Das ist viel mehr, als wir erwartet haben und es ist auch eine gute Blaupause für weitere Quartiere“, sagt Matthias Schmitz-Peiffer. Abwasserrohre gibt es schließlich an vielen Stellen – und die Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben nun ebenfalls. 
 

ÜBER KoWa – WÄRMEWENDE IN DER KOMMUNALEN ENERGIEVERSORGUNG

Laufzeit: 2020-2023
 

  • Finanziert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK, FKZ: 03EN3007)
  • Forschungskonsortium: IZES gGmbH – Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (Verbundkoordinator), Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), Hochschule Osnabrück, enable energy solutions GmbH, Steinbeis Innovation gGmbH (SIG), Solites, Universität Rostock

Weitere Informationen zu KoWa finden Sie unter:

www.kowa-projekt.de

Mehr Informationen über Heizen und Kühlen mit Abwasser bei den Berliner Wasserbetrieben finden Sie hier:

www.bwb.de


Bildquellen:
live-connect.tv
WERNERWERKE GmbH
HOWOGE