Forschungsprojekt Digitale Assistenz im Alter: Allein leben, ohne allein zu sein

Rund 90 Prozent aller älteren Menschen wohnen in ihrer eigenen Wohnung. Die meisten wünschen sich einen selbstbestimmten Alltag, solange das irgendwie möglich ist. Das Forschungsprojekt „Virtuell betreutes Wohnen“ prüft im Ostteil Berlins, wie die Digitalisierung dabei helfen kann.

Wie das Projekt einer ganzen Stadt helfen kann

Zu den Kooperationspartnern gehört auch die HOWOGE. In ihren Kiezen leben viele ältere Menschen, die als Teilnehmende an dem Projekt in Frage kommen. „Als landeseigene Wohnungsbaugesellschaft wollen wir den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft natürlich Rechnung tragen, sei es durch bauliche Anpassungen oder unterstützende Angebote wie unsere Kiezhelfer“, sagt Hendryk Lietzmann, Leiter Operatives Bestandsmanagement bei der HOWOGE (bis 2023). „Mit dem Forschungsprojekt haben wir die Chance, stellvertretend für viele Wohnungsunternehmen herauszufinden, wie sich digitale Assistenzsysteme so einsetzen lassen, dass praktisch für die ganze Stadt ein Vorteil entsteht.“

Frau Krüger vor einem Fenster mit einem Zitat

Mit einer solchen Anwendung smarter Haustechnik für die Bedarfe älterer Menschen beschäftigt sich bereits die SOPHIA Berlin GmbH, ein sozialer Dienstleister zweier landeseigener Schwestergesellschaften und ebenfalls Teil des Forschungsprojekts. „Technische Assistenzsysteme erleichtern uns zum Beispiel den Kontakt mit älteren Menschen“, sagt Quartiersassistentin Friderike Krüger. „Auch ohne Angehörige in unmittelbarer Nähe haben sie damit eine Option auf Unterstützung im Alltag.“ Das wiederum könnte den Umzug in eine Pflegeeinrichtung hinauszögern.

Alarmgerät bei Unregelmäßigkeiten

Wenn der Alltag ungewöhnlich läuft, schlägt das System Alarm

Mehr als 200 Testhaushalte mit Bewohner:innen ab 75 Jahren können nun auf Projektkosten: Bewegungssensoren, einen Hausnotruf und eine Direktleitung zu SOPHIA erhalten. Angebracht an der Eingangstür, vor dem Bad oder am Kühlschrank, ermitteln die Sensoren typische Bewegungsabläufe. Wenn die Teilnehmenden länger als üblich die Wohnung nicht verlassen, nicht ins Bad gegangen sind oder nicht den Kühlschrank geöffnet haben, sendet das System eine Warnung. SOPHIA nimmt dann Kontakt auf, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist; dass niemand hilflos auf dem Boden liegt oder das eigene Hunger- und Durstgefühl nicht mehr spürt.

Erste Erkenntnis aus dem Projekt: Technische Berührungsängste haben die wenigsten. Zwar gewinnen die Sensoren Erkenntnisse aus dem allerprivatesten Lebensbereich. Doch SOPHIA kann lückenlos den Datenschutz nachweisen. „Viele sagen uns außerdem, es sei für sie ein gutes Gefühl, dass jemand mitbekommt, was passiert“, sagt Friderike Krüger.

Den Kontakt übernimmt oft die ehrenamtliche Kiezhilfe

Eine große Rolle spielt, dass die SOPHIA Berlin GmbH kein Pflegedienst ist, sondern ein Dienstleister, der Beziehungen im Kiez organisiert. Kulturell bedingt altern die wenigsten Menschen in Deutschland gern. Mit Mitte 70 bringen viele eine Pflegebedürftigkeit noch nicht mit ihrem Selbstbild in Einklang. Projekte mit Bezug zur Pflege lehnen sie daher oft lange ab. Einen sozialen Kontakt aber akzeptieren sie. SOPHIA arbeitet mit 50 ehrenamtlichen Kräften zusammen, die ohnehin im Kiez unterwegs sind; zu mehr Bewegung animieren, mal einen Einkauf begleiten oder zur Unterhaltung vorbeischauen. Friderike Krüger: „Wenn diese Kontakte nebenbei fragen, wie gut bestimmte Bereiche des Alltags funktionieren, berichten ältere Menschen eher und ehrlicher, ob es Schwierigkeiten gibt.“

Genau hier liegt ein möglicher Ansatz, den Umzug in eine Pflegeeinrichtung hinauszuzögern. Viele Alterserscheinungen wie der Verlauf einer Demenz oder der Verlust von Körperbalance oder Konzentrationsfähigkeit lassen sich mit gezieltem Training steuern. Dafür aber muss jemand frühzeitig die ersten Anzeichen bemerken und das Training anstoßen. „Technische Assistenzsysteme übernehmen in dem Sinne keine Pflege. Sie stellen vielmehr einen Kontakt zu einem Menschen her, der dann alles weitere anstoßen kann“, sagt Friderike Krüger.

Banner virtuell betreutes Wohnen.

Die Zusammenarbeit ist eng, obwohl die Partner so unterschiedlich sind

Diese Art der Prävention ist ein gesamtgesellschaftliches Interesse und bindet damit auch die Krankenkassen ein. Daher fördert der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) das Projekt. Unter der Voraussetzung einer nachweisbaren Wirkung könnte die Kombination aus sozialer und digitaler Dienstleistung sogar zur Kassenleistung werden. Auch an diesem Nachweis arbeitet das Forschungsprojekt – mit einem besonderen interdisziplinären Ansatz. Sieben Projektpartner bringen ganz unterschiedliche Expertise ein. Neben der HOWOGE und SOPHIA Berlin GmbH sind das Technologieunternehmen PHILIPS sowie die Krankenkassen BKK VBU, BAHN-BKK und DAK-Gesundheit beteiligt. Das Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité Berlin übernimmt das wissenschaftlich-methodische Design für die Erhebung und die Auswertung der gewonnenen Daten. 2023 soll eine erste Analyse vorliegen.

Und wie funktioniert die Zusammenarbeit unter so vielen so unterschiedlichen Disziplinen? „Sehr gut“, sagt Friderike Krüger. „Wir vertrauen uns, loten respektvoll die Schnittstellen aus und haben eine gemeinsame Sprache gefunden, in der wir uns gut verständigen können.“

Weitere Informationen finden Sie unter:

www.virtuellbetreuteswohnen.de

Bildquellen:
SPUTNIKeins
Stefanie Eichhorn
Werner Popp Fotographie
Textquelle:
[1] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/hilfe-und-pflege/zuhause-im-alter-75580