Das ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
twist it – turn it – build it – use it – love it!
Wie kann der serielle Prototyp eines zukunftsfähigen und lebenswerten Stadtquartiers aussehen und funktionieren?
Einerseits braucht das Grundmodul eine ausgeprägte Robustheit um die prägenden Entwurfsparameter und Qualitäten langfristig zu sichern und sollte gleichzeitig durch eine hohe Flexibilität adaptiv auf künftige Veränderungen oder ortsspezifische Rahmenbedingungen reagieren können.
Des Weiteren ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen gestalterischer und räumlicher Bindung und individueller entwurflicher und funktionaler Freiheit entscheidend.
Das Puzzleteil
Basis unseres Prototyps ist ein einziges hochspezialisiertes Puzzleteil, welches durch klar definierte Parameter eine maximale Verbindlichkeit und Resilienz bietet:
- zwei Baufelder, eines mit 58 x 82 m² und eines mit 30 x 52 m²
- durch die Drehung der Puzzleteile bilden sich unterschiedlich dimensionierte öffentliche Räume zwischen den Baufeldern. Die Abstände von 6,12,18 und 24 m werden durch Kombinationen unterschiedlicher Freiraumelemente gefüllt (Wege, Plätze, Grünflächen intensiv/extensiv, Retentionsflächen)
- einen öffentlichen Freiraum, mit 42 x 42 m²
Dagegen eröffnet das Puzzle durch das unterschiedliche Aneinanderlegen (drehen, spiegeln, puzzeln) des einen Puzzleteils schier unendliche Kombinationsmöglichkeiten:
- unterschiedliche Zuschnitte und Größen der Baufelder (z.B. min. 30 x 52 m², 82 x 88 m² oder max. 116 x 88 m²)
- differenzierte Freiräume und Adresslagen als Nachbarschaftsorte, Quartiersplätze oder im Übergang und als Bindeglied zum Bestand
- vielfältige hierarchische Vernetzungslinien und Blickbezüge
- Anpassung an den konkreten Ort bezüglich Zuschnitt der Entwicklungsfläche und seiner Nachbarschaft
- einfache, niederschwellige, anschauliche und damit äußerst partizipationsstaugliche Form, um spielerisch und dennoch realitätsbezogen mit Stadtentwicklung umzugehen (puzzle it!)
Zusätzlich besteht eine hohe Anpassungsfähigkeit und Individualisierung durch die weitere Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche des einen Puzzlestücks, je nach dessen Lage im Quartier oder sonstigen spezifischen Anforderungen:
- völlig nutzungs- und gestaltoffene Bespielung der Freiräume, auch zur gemeinsamen Entwicklung und Inanspruchnahme durch die künftigen Nutzer
- flexible Ausnutzung der Baufelder durch vielfältige Typologien, Nutzungen und Dichtetypen
- Differenzierung der Vernetzungslinien durch unterschiedliche Querschnittsaufteilungen des öffentlichen Raums sowie zusätzlich Spielraum in der Tiefe und Ausgestaltung der Vorzonen.
Das Puzzle
Je nach Kombination des einen Puzzleteils und der individuellen Ausgestaltung seiner Bereiche sind unzählige Entwicklungsszenarien möglich. Nachfolgend wird ein mögliches Puzzle beschrieben, welches auch in den Plänen dargestellt ist.
Städtebau
Das Stadtquartier bildet eine eigenständige Einheit, welche sich in vier differenzierte Nachbarschaften mit spezifischen Qualitäten und Eigenschaften sowie individuellem Image untergliedert. Alle Nachbarschaften beziehen sich aufeinander sowie auf die angenommenen unterschiedlichen Bestandsstrukturen (Erschließungsachse, Großwohnsiedlung, Einfamilienhaussiedlung, Landschaftsraum)
NACHBARSCHAFT 1 – DAS ZENTRUM (Puzzleteile A2, A3, B3, C3)
Das Zentrum ist identitätsstiftendes und funktionales Herzstück des neuen Stadtquartiers und gleichzeitig ergänzendes Angebot und Bezugspunkt für die Bestandsquartiere. Es zeichnet sich durch eine hohe Dichte und vielfältige Mischung; gewerbliche Erdgeschosszonen (urbane Produktion, Handel, Dienstleistung, Gastronomie etc.) und belebte öffentliche Räume sowie ein markantes Erscheinungsbild aus. Die prägenden Freiräume sind der quirlige Stadtplatz und der kontemplative Stadtpark. Gerade der Stadtpark bildet als Mittelpunkt grüner Vernetzungsräume das einladende Bindeglied zwischen bestehenden und neuen Nutzern.
NACHBARSCHAFT 2 – AN DER GROSSWOHNSIEDLUNG (Puzzleteile A4, B4, C4, D4)
Der südliche Rand des Puzzles bildet eine klare Raumkante zur Ringerschließung bzw. zum Stadtpark und verzahnt sich im Süden eng mit dem Freiraum. Dieser liegt als schmaler Pufferstreifen zwischen neuem Stadtquartier und der Großwohnsiedlung. Durch die offene Bauweise aus Zeilen und Punktbauten mit entsprechender Höhenstaffelung und relativ großen Baufeldern reagiert diese Nachbarschaft auf das mächtige bauliche Gegenüber. Die Verzahnung der öffentlichen Freiräume im Süden verstärkt diese Haltung.
NACHBARSCHAFT 3 – AN DER SIEDLUNG (Puzzleteile C2, D1, D2, D3)
Die nordöstlichen Baufelder bilden den Übergang zur bestehenden Siedlungsstruktur im Osten. Durch die kompakten Baufelder und die kleinteiligere Baustruktur ergänzt durch ein Spiel aus Pocketparks wird hier einerseits ein klares eigenständiges Image erzeugt und gleichzeitig der fließende Übergang zum Bestand ermöglicht. Hier wäre also ein kleiner Grünpuffer ebenso vorstellbar wie das unmittelbare „Weiterbauen“ am Bestand.
NACHBARSCHAFT 4 – AN DER LANDSCHAFT (Puzzleteile A1, B1, B2, C1)
Das große Potenzial im Norden liegt an der hervorragenden Lage zwischen Quartierszentrum und Landschaftsraum. Dementsprechend breit ist der bauliche und funktionale Mix. Während im Süden die Baustrukturen baulich und funktional auf das Zentrum reagieren und im Kern eine eigenständige Typologie entwickelt wird, prägt eine klare bauliche Kulisse den nördlichen Abschluss. Hier wird durch freiräumliche Einstülpungen eine maximierte Abwicklung an der Landschaft für möglichst viele Bewohner:innen hergestellt.
Freiraum
Zwei übergeordnete Freiraumelemente prägen das Quartier: die grün-blauen Adern und der belebte urbane Quartiersloop. Der Loop führt als städtische Promenade durch das Quartier und weitet sich an unterschiedlichen Stellen zu kleinen belebten Gebäudevorzonen und Platzsituationen auf. Die großzügige Grünverbindung durchzieht das Quartier und bietet ein vielfältiges Nutzungsangebot für die Bewohner:innen. Die grün-blauen Adern schließen an die bestehenden Grünräume der Umgebung an und sind somit wichtige übergeordnete Vernetzungsräume sowie Kalt- und Frischluftschneisen. Im Zentrum des Quartiers überlagern sich Grünader und Loop und bilden die beiden Antagonisten, den Quartiersplatz und den Stadtpark. Ein Patchwork aus kleinteiligen Spiel- und Nachbarschaftsplätzen sowie Gemeinschaftsgärten, Sportplätzen, urbaner Landwirtschaft und Werkhöfen bildet vielfältige und gemeinsam genutzte Nachbarschaften.
Mobilität
Das Erschließungssystem unterliegt drei hierarchisierten Wegeprinzipien: dem Ring (≥6m), den Vernetzungswegen innerhalb der einzelnen Nachbarschaften (4,5/1,5m) und den Wohnwegen (3,5/2,5m). Der klar erkennbare und Orientierung gebende zentrale Ring vernetzt das neue Quartier direkt mit dem übergeordneten Verkehrsnetz (ÖPNV, Hauptstraßen, Radschnellwege). Der Ring selbst ist vorwiegend für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen ausgelegt. Autoverkehre sind nur im Bedarfsfall (z.B. Rettung, Mobilitätseingeschränkte Personen) möglich. Sämtliche MIV-Verkehre werden in einer zentralen Quartiersgarage als Mobilitätsstation am Bahnhof abgefangen. Hier befinden sich auch die Warenboxen (Pakete, Einkäufe etc.) bzw. der Umladepunkt für die Lieferung der letzten Meile per Lastenrad. Die Vernetzungs- und Wohnwege besitzen schmalere Wegeprofile und werden durch begleitende Streifen in Rasenschotterflächen ergänzt. Somit wird der Versiegelungsgrad auf ein Minimum reduziert, die Befahrung durch Rettungs-, Pflegefahrzeuge jedoch ermöglicht.
Nachhaltigkeit
Das Stadtbaupuzzle zeichnet das Idealbild eines klimaneutralen, nachhaltigen Stadtquartiers. Hier fließen nicht nur Stoffkreisläufe zusammen, sondern hier wird auch die Grundlage für neue lokale Wertschöpfungsketten im Quartier gelegt. Nachwachsende Rohstoffe, Wasserrecycling, erneuerbare Energieproduktion, Nahwärmeerzeugung, Lebensmittelproduktion, Naherholung, Sport, Bildung, Wohnen und Arbeiten begegnen sich und schaffen einen vielfältigen, gemischt genutzten, energieautarken, resilienten und somit zukunftsfähigen Lebensraum.
Neben den technischen Innovationen trägt der Städtebau durch seine urbane Kompaktheit, die vitale Mischung in Kombination der attraktiven Fuß- und Radwege sowie der angestrebten Dichte und dem damit verbundenen Erreichen einer kritischen Masse zum Funktionieren als eigenständiger Stadtteil wesentlich zu einem nachhaltigen Standort bei. Auch eine lebendige Nachbarschaft mit kleineren Treffpunkten zur gemeinsamen Aneignung sorgen für ein zukunftsfähiges Stadtmodell.