4002 - PPAG architects ztgmbh, Wien und Project GmbH, Esslingen

Stadtplanung/Architektur Freiraum:
PPAG architects ztgmbh, Wien
und Project GmbH, Esslingen

Erläuterungsbericht zum Wettbewerbsbeitrag

AUSGANGSPUNKT: Das Quartier am Fennpfuhl im Bezirk Lichtenberg bietet seit vielen Jahren vielen Menschen hohe Wohnqualität. Urbanes Leben kommt zwischen den hohen Wohnscheiben nur an wenigen Stellen auf.

DAS FEHLENDE: Das neue Quartier an der Vulkanstraße versteht sich als vielfältige Ergänzung des Fehlenden im Sinn eines gemeinsamen Ganzen. Materiell-konstruktiv, in der atmosphärischen Anmutung und in der Morphologie insgesamt verleiht es aktuellen Realitäten der Klimawende Ausdruck und führt so auch typologisch in die Zukunft. 

DAS NEUE GESICHT DES GREEN DEAL: Wie sieht die Stadt der Klimawende aus? Fast alles beim Bauen muss neu gedacht werden. Die einzelnen Bausteine sind weitgehend bekannt. Aber wie sieht die neue Stadt aus, die alle Hebel gleichzeitig in Bewegung setzt, die sich von den Fesseln der Konvention befreit?

ERHALT BÄUME: Im Bearbeitungsgebiet leben 746 Bäume. Es ist eine Prämisse des Entwurfs, alle Bäume zu erhalten. Die Bäume binden hier circa 50t CO2 pro Jahr und tragen wesentlich zur regionalen Abkühlung an Hitzetagen und in Sommernächten bei.

DACHLANDSCHAFT: Auf der neuen Bebauung entsteht ein neuer, terrassierter Naturraum. Retentionsdächer in Verbindung mit extensiver Begrünung (Wiesen, Blumen, Sträucher, Bäume…) geben Vögeln und Insekten ein Zuhause. An den sonnigsten Plätzen Photovoltaik, hier und da ein verstecktes Gärtchen für die Nachbarschaft.

BAUWEISE: Ein Stützen-Träger-System im stringenten Rasterabstand von 6m bildet die linearen Auflager für durchlaufende Deckenelemente. Aussteifende Treppenhäuser. Fassaden und Innenwände im Leichtbausystem aus vorwiegend regenerativen Quellen. Das System ist in all seinen Komponenten materialoffen (Stützen, Träger, Decke: Holz oder massiv). Eine hoch-wirtschaftliche, langlebige Konstruktion mit geringstem ökobilanziellem Fußabdruck und höchstem Vorfertigungsgrad im Hülle-Kern-Prinzip. Aus Modularität und Serialität entsteht Einzigartigkeit und Identifikationspotential.

A/V-VERHÄLTNIS: Lange Zeit fokussierte das nachhaltige Bauen auf den winterlichen Wärmeverlust. Das hat uns im Städtebau die Schachteln beschert. Heute – Wärmeenergie haben wir bald im Griff - wissen wir, dass es so einfach nicht ist: Im Sommer unerträglich heiß, Hektoliter von Regen in Minuten. Von Luft durchströmt kühlen die neuen Gebäude in der Nacht ab, halten Wasser auf den Dächern zurück und bieten unten geschützten Raum im Freien. 

LEBENSRAUM: Was immer wir schaffen: Wohnungen, Häuser, Siedlungen, Städte … es ist immer Lebensraum … für alle !

REGENWASSER: Begrünte Retentionsdächer (Biodiversitätsdächer) für verzögerte Ableitung, erhöhte Verdunstung und Pufferung bei Starkregen. Mulden- oder Flächenversickerung ggfs mit punktuellem Bodenaustausch. Versickerungsfähige Flächenbeläge, partielle Zwischenspeicher.

PROMENADE: Durchgehende, breite autofreier Promenade entlang der Bestandsbauten – nur Müll- und Rettungsfahrzeuge. Die Promenade ist der atmosphärische Begegnungsort mit diversen Angeboten. Entsiegelung. Aufwertung der Pufferwäldchen. Sie führt nahezu ohne Straßenquerung entlang des gesamten Betrachtungsgebiets vom grünen Hof (hinter VUL27-29 im Norden) bis zum südlichen Spielplatzhof (Ecke Josef-Orlopp-Str) und wird so zum entscheidenden, verbindenden Rückgrat!

BODENAKTIVATOR: Soziale Infrastruktur und Gewerbe in Bodennähe bringen Aktivität und Leben ins nach allen Seiten durchlässige Erdgeschoß. Hier findet sich ein im wahrsten Sinn multifunktionaler Raum! Tageszentrum, Multifunktions-, Bewegungs-, und Ausstellungsraum, Ärztezentrum, Apotheke, Bäckerei, Café, Restaurant, Mietbüro, Mobility-point, Spiel- und Sportflächen, Grillplatz, Freiluftkino ... dazu Wohnen im Erdgeschoß, Wohnen und Arbeiten, betreutes Wohnen… und dazwischen Parken im Schritt-Tempo mitten im Grün. Von außen kaum wahrnehmbar.

VERNETZUNG: Ein engmaschiges Wegenetz durchzieht diesen Raum und verbindet den Osten mit dem Westen. An der Promenade begegnen einander die zukünftige Städtebau-Philosophie und die der Moderne in Harmonie. Die neue Bebauung ist die Vermittlerin zwischen Gewerbegebiet im Osten und der Wohnbebauung Fennpfuhl.

GEBÄUDESTRUKTUR: Ausgehend vom größtmöglich sinnvollen Erhalt von Parkplätzen und Bäumen und unter Wahrung der Abstandsregeln entwickelt sich ein anderes, neues Bild von Stadt. Es entwickelt sich eine abwechslungsreiche Struktur, im Maßstab zwischen Wohnscheiben und Gewerbezone vermittelnd. Tendenziell niedrig, jedoch mit in der Höhe an den Bestand anknüpfenden Hochpunkten, mit abwechslungsreicher Silhouette… Es geht mehr um Nähe als um Abstand, um erhöhte Intimität und atmosphärische Dichte im Ausgleich zum Bestand.

WOHNUNGEN: Das neue Wohnangebot bietet an, was es zuvor nicht gab. Neben klassischen Typen auch Verschiedenheit, ein Amalgam von Einfamilienhausqualitäten, Angebote für Wohnen und Arbeiten, Clusterwohnen für Gruppen unterschiedlicher Intention, für Wahlverwandtschaften, Mikrowohnen – Housing first, temporäres Wohnen, Großfamilienwohnungen, kurzfristig anmietbare Gästewohnungen, besondere Zuschnitte wie Maisonetten etc.. Die Bebauung ist überwiegend niedrig gehalten, es geht stark um die Belebung des Bodens. Ergänzt durch wohnaffine Nutzungen, soziale Infrastruktur und kleines Gewerbe.

BRANDSCHUTZ: Die Wohnstruktur ist durch „Berliner Sicherheitstreppenhäuser“ – in den Hochpunkten durch Sicherheitstreppenhäuser erschlossen. Dadurch ist weder ein zweiter Rettungsweg noch Anleiterbarkeit erforderlich.

MIKROKLIMA: Die Typologie bewirkt mit überbauten Räumen gegen Sonne und Starkregen, durchlüftenden Höfen, dem vorhandenen und hinzukommenden Grün auf Dächern und Terrassen eine mikroklimatische Verbesserung und ist damit für das wärmer werdende Klima bereit.

KFZ: Circa 50% der Stellplätze können auf ebener Erde bleiben. Die andere Hälfte ist in einem Parkhaus an der Landsberger Allee untergebracht. Wodurch die dahinterliegende Bebauung lärmgeschützt ist. Sport, Musik- und Jugendclub auf dem Dach.
Mit Abnahme des Stellplatzbedarfs werden in Zukunft Stellplätze reduziert, zunächst im Bodenaktivator und den Multifunktionsflächen, sodass hier im Wesentlichen nur Mobilitätseingeschränkte, Anlieferung und Carsharing zufahren.

FAHRRÄDER: Angeboten werden verschiedene Kategorien von Stellplätzen: Bügel im zugänglichen Freiraum für den schnellen Zugriff, geschützt in Boxen, Fahrradräume im Gebäude und Einzelboxen in den Geschossen. Die Bedürfnisse sind verschieden.

VULKANSTRASSE: Die Vulkanstraße wird in Zukunft vom Unraum zum Freiraum mit Aufenthaltsqualität werden. Dem Straßenlärm und dem Gewerbelärm wird durch entsprechende innere Organisation und Verlagerung robuster Nutzungen in Straßennähe begegnet.

VERHANDELBAR: Der Städtebau ist nachgiebig und verhandlungsfähig und deklariert sich dennoch deutlich. Er ist nie fertig, wirkt dabei aber deshalb keineswegs unfertig, Er ist auf jeweilig wechselnde Bedürfnissen justierbar.

VORFREUDE: Besonderes Ziel ist es, mit dem Vorschlag Vorfreude bei allen Beteiligten zu entfachen. Der Baumerhalt, die moderaten Höhen, die klimafreundliche Bauweise, die durch Vorfabrikation möglichst leise und kurze Baustelle, das Angebot an sozialer Infrastruktur und Gewerbe, führen hoffentlich zu hoher Akzeptanz unter den schon hier Wohnenden.

BESTANDSGEBÄUDE: Zwar nicht Teil der Aufgabe aber weiter denkbar: die Durchlässigkeit der langen Bestandsbauten erhöhen, im Fall dass im Erdgeschoß jemand auszieht. Terrassenzubauten im erhöhten Erdgeschoss verstärken die Lebendigkeit im angrenzenden Freiraum.

DENKMALSCHUTZ: Das Parkhaus fasst den denkmalgeschützten Bereich gegen Westen ein. Von der Dachterrasse der Garage aus kann die Struktur des Denkmals im Ganzen studiert und erfasst werden. 

75% der derzeit versiegelten Fläche wird entsiegelt.