Stadtplanung/Architektur Freiraum:
Dietrich Untertrifaller Architekten GmbH, München
mit Storch Landschaftsarchitektur, Dresden
3. Preis - Dietrich Untertrifaller Architekten GmbH, München mit Storch Landschaftsarchitektur, Dresden
Erläuterungsbericht zum Wettbewerbsbeitrag
Vom Unort zum Alltagsort – Aus einem Parkplatz wird ein Quartier mit Gesicht
Das Projekt denkt die Siedlungslogik der 1970er Jahre weiter – nicht als Kontrast, sondern als Fortschreibung. Die Großform des Fennpfuhls – geprägt von Weite und Struktur – bleibt lesbar, gewinnt jedoch an Nähe, Dichte und Alltagstauglichkeit. Die Vulkanstraße verändert sich nicht durch Bruch, sondern durch präzise Setzungen neuer Baukörper. Aus einem Ort ohne Aufenthaltsqualität entsteht ein gefasstes Quartier. Aus einem Parkplatz wird Nachbarschaft: mit klaren Raumkanten, durchlässigen Übergängen und vielfältigen Schwellen zwischen privat und öffentlich. Rückzugsorte und Orte der Begegnung verzahnen sich. Der Asphalt weicht gemeinschaftlich genutztem Stadtraum. Was bleibt, ist der Maßstab. Was sich verändert, ist die Haltung. Der Genius loci des Fennpfuhls – großzügige Zwischenräume, lineare Ordnung, markante Baumgruppen – wird neu interpretiert. Schwächen werden zum Hebel der Transformation: Stellplatzwüsten werden zu klimawirksamen Stadträumen, lärmbelastete Ränder durch schützende Bebauung gefasst. Adresslosigkeit weicht Orientierung. Gebäude, Freiräume und Wege greifen ineinander – im Maßstab des Quartiers und des Alltags.
Städtebau – Aufgreifen der Großform
Die städtebauliche Setzung übersetzt die Großform des Fennpfuhls in eine zeitgemäße Morphologie: differenziert, maßstäblich, ortsbezogen. Sie reagiert auf Topografie, wertvollen Baumbestand und Wegeverbindungen – erweitert sie und stärkt die Struktur des Quartiers in alle Richtungen. Zur Vulkanstraße formulieren die Baukörper eine klare Adresse. Die Kante bietet Orientierung, bleibt jedoch durchlässig. Was heute Rückseite ist, wird zur Schauseite – mit aktiven Erdgeschosszonen und lebendigen Ecken. Die Baukörper staffeln sich entlang des Geländes, Volumen verjüngen sich zur Nachbarschaftspromenade hin. Schwellenzonen vermitteln zwischen Öffentlichkeit und Privatheit – es entstehen ruhige Bereiche mit akustischen Qualitäten.
Die gestaffelte Klammer der Potenzialflächen 4 und 5 rahmt introvertierte Hofräume mit hoher Aufenthaltsqualität. Punktuelle Baukörper im Norden und Süden schärfen die Hofstruktur. Eine Quartiersgarage entlang der Landsberger Allee markiert den nördlichen Auftakt. Sie puffert Lärm und nimmt geräuschintensive Nutzungen auf. Weitere Stellplätze entstehen entlang der Vulkanstraße (Flächen 5 und 8). So wird eine weitgehend autofreie Binnenstruktur möglich. Alle Garagen sind als wandelbare Infrastrukturen konzipiert. Erdgeschosse sind heute schon hybrid nutzbar – z. B. als Markt oder Skatefläche (Fläche 1) – und können flexibel umgenutzt werden. Dachflächen sind von Beginn an aktiviert: miturbaner Begrünung, Spielzonen oder PV-Anlagen. Die Nachbarschaftspromenade durchzieht das Areal als grüne Lebensader – soziales Rückgrat und Verbindung zum Bestand. Der Baumbestand wird integriert und ergänzt. Gemeinschaftlich nutzbare Dachlandschaften erweitern den Freiraum in der Vertikalen – als neue Sphären der Aneignung zwischen urbaner Dichte und landschaftlicher Offenheit.
Architektur – Raum für Alltag, Nähe und Nutzung
Die Architektur folgt der Logik des Raums. Zeile, Punkthaus, Hochpunkt und Laubengang ermöglichen präzise Reaktionen auf Kontext und Programm. Unterschiedliche Regelgeschosstypen sichern die Umsetzung des geforderten Wohnungsmixes. Modular entwickelte Baukörper lassen sich typologisch kombinieren und flexibel anschließen – für funktionale Dichte, kurze Wege und klare Adressen. Balkon- und Laubengangstrukturen dienen zugleich als konstruktiver Sonnen- und Schallschutz.
Die Architektur folgt dem Prinzip der Raumlogik und schafft ein robustes, anpassungsfähiges Gefüge für gefördertes und freifinanziertes Wohnen, soziale Infrastruktur und kleinteiliges Gewerbe. Ein wirtschaftlich organisiertes Raster ermöglicht gut belichtete Grundrisse und eine effiziente, barrierefreie Erschließung. Die Erdgeschosszonen sind nutzungsflexibel konzipiert und nehmen quartiersbezogene Programme auf – vom Nachbarschaftscafé über die Fahrradwerkstatt und den Senior:innentreff bis hin zur Kletterhalle im Hochpunkt. Publikumsorientierte Nutzungen an den Ecken stärken die Adressen – funktional wie städtebaulich.
Die Konstruktion folgt dem Prinzip des vorgefertigten Leichtbaus in Holzrahmenbauweise. Wand- und Deckenmodule werden werkseitig gefertigt, vor Ort gefügt und durch steckfertige Sanitärmodule (Bad-Boxen) ergänzt. Das serielle Bausystem ermöglicht nicht nur kurze Bauzeiten und emissionsarme Prozesse, sondern auch eine hohe Umnutzungsfähigkeit der Strukturen. Alle Bauteile sind sortenrein trennbar, rückbaugeeignet und digital dokumentiert – im Sinne einer zirkulären Materialstrategie.
Die Dachflächen werden als produktive Allmendeflächen aktiviert: gemeinschaftliches Gärtnern, dezentrale PV-Nutzung, Spiel- und Rückzugsorte. So entsteht ein räumliches Angebot jenseits der Erdgeschossebene – mit neuer Qualität zwischen Privatheit und Gemeinschaft, zwischen Aussicht und Aneignung.
Freiraum – strukturell, klimatisch, sozial wirksam
Die Freiraumplanung versteht sich als integratives System aus Klimaanpassung, sozialer Infrastruktur und Bewegungsraum – tief verankert im Kontext des Fennpfuhls. Die zentrale Nachbarschaftspromenade bildet das landschaftliche und programmatische Rückgrat des Quartiers: Sie verbindet Bestand und Neubau, ergänzt die Ost-West-Grünachse um eine Nord-Süd-Verbindung, strukturiert die Binnenerschließung, inszeniert Durchlüftung und Regenwassermanagement – und bleibt offen für Aneignung und soziale Aushandlung.
Der Freiraum ist fein gegliedert: wohnungsnahe Höfe mit quartiersbildender Vegetation, dezentrale soziale Knotenpunkte mit Alltagsangeboten, sowie großzügige Platzsituationen an infrastrukturellen Schnittstellen. Die Höfe werden zu identitätsstiftenden Nachbarschaftsräumen, differenziert nach Nutzung und Altersgruppe, atmosphärisch verdichtet durch gezielte Bepflanzung, taktile Materialien und eine starke Erdgeschossbeziehung. Ein besonderes Augenmerk wurde auf eine möglichst hohe Entsiegelung und den weitestgehenden Erhalt des Baumbestandes gelegt. Maßnahmen zur Unterstützung der Biodiversität, Artenvielfalt und Retention fördern zusätzlich das Mikroklima und die Qualität des Gebietes.
Fuß- und Radwege sind durchgängig, barrierefrei und sicher geführt – ergänzt durch dezentrale Mobilitätsangebote, Sharing-Punkte und alltagsnahe Fahrradabstellanlagen (Kombi aus Doppelstockparken und einstöckige Reihenparkern). Spiel- und Sportangebote im Grünen durchziehen das gesamte Gebiet und sorgen so für eine ausgewogene Verteilung von Aktivität und Ruhe im Quartier. Die Dachflächen erweitern das Nutzungsspektrum vertikal: als gemeinschaftliche Rückzugsorte, produktive Gärten oder nutzungsflexible Freiflächen. Es entsteht ein durchlässiges, feinmaschiges Freiraumsystem – funktional, klimatisch und sozial wirksam. Es bildet die Bühne für ein lebendiges, inklusives Quartier.
Beurteilung des Preisgerichts
Städtebau
Der Entwurf entwickelt entlang der Vulkanstraße eine Dreiteiligkeit mit gelungener Höhenstaffelung. Als unterschiedliche Gebäudetypologien in einer Kombination aus Zeilen, Punkthäusern und Blockrand mit Hochhaus werden die unterschiedlichen Baufeldtiefen geschickt besetzt. Der Auftakt an der Vulkanstraße / Ecke Landsberger Allee wird durch ein 4-geschossiges Neubauvolumen gut akzentuiert.
Der Blockrand mit einer 3-8-geschossigen Bauweise sowie einem räumlich durchlässig gestalteten Erdgeschoss wird von der Jury lobend gewürdigt. Die Nutzungen sind gut gewählt und umfassen Gewerbeeinheiten, Mehrzweckräume sowie u.a. Fahrradräume. Der öffentlich gewidmete Innenhof des Blockrands wird zum Charakteristikum des Entwurfs.
Südlich vom Blockrand befindet sich ein hybrider Stadtbaustein zusammengesetzt aus Quartiersgarage, Nahversorger und Wohnen. Die räumliche Nähe dieses mittleren Baufelds und des sogenannten „Grünen Korridors“ zwischen der Quartiersgarage und den Bestandsgebäuden wird kritisch gesehen und ist hinsichtlich der Belichtungsqualität im Bestand zu prüfen. Die Erschließung der Bestandsgebäude wird reduziert und neu als Shared-Space angedeutet. Ob eine ausreichende Nutzbarkeit gegeben ist, ist nachzuweisen.
Der Baukörper, welcher sich südlich der Herzbergstraße anschließt, entwickelt eine gelungene Stadtsilhouette und fügt sich harmonisch gegenüber dem Bestand ein.
Die Innenhofbebauung als Nachverdichtung in Form von Punktgebäuden im nördlichen Kreativhof und südlichen Wohnhof werden im Zusammenhang mit der Nachbarschaft in ihrer räumlichen Maßstäblichkeit kritisch bewertet.
Die Wohnungstypologien insbesondere im Blockrand sind mehrheitlich mit mäandrierenden Laubengängen vorgesehen. Die Flächeneffizienz im Zusammenhang mit der Anzahl an Treppenhäusern und Aufzügen sowie Lärm- und Belichtungsqualität sind zu prüfen. Der Anteil an Laubengängen ist eher hoch und von der Bewirtschaftung kritisch beurteilt. Inwieweit eine modulare Bauweise umsetzbar ist, hängt von der weiteren Ausarbeitung ab.
Die architektonische Gestaltung ist zu einer späteren Phase zu entwickeln.
Freiraum und Erschließung
Die Gebäudeensemble werden durch dazwischen liegende Quartiersplätze und kleine Treffpunkte verbunden, die die städtebauliche Setzung in den Freiraum weiterführen. Es entsteht eine Promenade zwischen Bestand und Neubauten, die sich parallel zur Vulkanstraße durch das Quartier zieht. Öffentliche fließende Freiräume führen auch in das Innere des Blockrands. Die Höfe selbst erhalten jeweils identitätsstiftende Nutzungen als Themenhöfe. Dieses Konzept wird von der Jury grundsätzlich gelobt. Welche Qualitäten der Innenhof für die Öffentlichkeit und die Anwohnenden des Blockes tatsächlichen entwickeln kann, wird kontrovers diskutiert.
Das Projekt weist zwei Quartiersgaragen aus, welche in Lage und Größe gelungen verortet sind. Die 5-geschossige Garage an der Landsberger Allee wird stadträumlich positiv bewertet, die Vereinbarkeit mit dem gegenüberliegenden Denkmalschutz ist abzustimmen.
Die GRZ des Projekts ist im Vergleich eher hoch. Der prozentuale Anteil verbleibender nicht versiegelter Außenanlagen ist daher eher gering.
Empfehlungen für die Überarbeitung
- Eine Verdichtung der bestehenden Innenhöfe ist zu überprüfen.
 - Der Grad der Versiegelung ist zugunsten des Freiraumes zu reduzieren.
 - Die Freiraumnutzungen sind in ihrem öffentlichen und privaten Charakter auszudifferenzieren.
 - Die angestrebte Qualität des zentralen Innenhofes ist mit der gewählten Gebäudetypologie abzugleichen, wobei Fragen der introvertierten Offenheit in den Blick zu nehmen sind.
 - Die innere Erschließung der Wohnbebauung ist gemäß den unterschiedlichen Anforderungen auszuarbeiten.
 - Eine Nutzung der Dachflächen ist hinsichtlich der Realisierbarkeit und Nutzbarkeit zu prüfen.